Radioaktivität

Nach den Explosionen im Kernkraftwerk Fukushima (Japan) sind zahlreiche radioaktive Stoffe in die Umwelt gelangt, unter anderem 131I (Jod-131) und 137Cs (Cäsium-137). Bei sehr hohen Temperaturen, etwa bei einer Kernschmelze, können auch 239Pu (Plutonium-239), ein giftiges radioaktives Schwermetall und 90Sr (Strontium-90) in die Umwelt gelangen. Diese radioaktiven Stoffe unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen.
Cäsium kommt normalerweise im menschlichen Körper nicht vor, es ist aber auch nicht toxisch. Gelangt es in den menschlichen Körper, ist es, ähnlich wie das verwandte Alkalimetall Kalium, in allen menschlichen Körperzellen und auch im Zellkern zu finden.
Strontium kommt in Spuren vor, man kennt aber keine biologischen Funktionen. Da es dem Calcium ähnlich ist, kann es in menschlichen Knochen eingelagert werden, was im Falle von radioaktivem Strontium zu einer Strahlenbelastung des Knochenmarks führt. Jod ist für den menschlichen Körper unentbehrlich. Die höchste Konzentration ist in der Schilddrüse vorhanden, dort wird Jod in die Schilddrüsenhormone Thyroxin und Thrijodthyronin eingebaut. Diese sind am Zellwachstum, Knochenbau und an der Regulation des Energiestoffwechsels beteiligt.
In diesem Dossier möchten wir zunächst über die Wirkungen von radioaktivem Jod und Caesium aufklären.

Jod-131 ist ein instabiles Isotop

Jod hat 36 Isotope, davon kommt nur eines, das 127I, natürlich vor, ist also stabil. Jod-131, das auch durch die Explosion in Tschernobyl freigesetzt wurde, ist dagegen nur sehr kurzlebig. Anders als nicht radioaktives Jod, das der Körper für das reibungslose Funktionieren der Schilddrüse benötigt, ist Jod-131 für den menschlichen Organismus gefährlich. Radioaktives Jod hat eine Halbwertszeit von acht Tagen, das heißt in dieser Zeit zerfällt die Hälfte der radioaktiven Jodteilchen, unabhängig davon, ob sie in den Körper gelangt sind, oder nicht. Durchschnittlich etwa 80 Tage benötigt es, um aus dem Körper wieder ausgeschieden zu werden. Wegen der relativ starken Strahlung und der Anreicherung in der Schilddrüse ist Jod-131, wenn es in hohen Dosen aufgenommen wird, für den Menschen schädlich.

Schilddrüsenkrebs tritt häufig auf

Über die Atmung und über den Verzehr von Lebensmitteln kann Jod, also auch radioaktives Jod-131, in den Körper gelangen. Die Aufnahme des radioaktiven Jods kann mit der Einnahme von Jodtabletten blockiert werden, weil der Körper das radioaktive Jod in diesem Fall als überschüssige Substanz ausscheidet. Das ist der Grund, warum nach Störfällen in Kernkraftwerken Jodtabletten an die Bevölkerung ausgegeben werden.
Gelangt das radioaktive Jod jedoch in die Schilddrüse, entfaltet es langfristig seine schädigende Wirkung. Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl erkrankten sehr viele Menschen, die in der Nähe des Kernkraftwerkes gewohnt hatten und mit Jod-131 kontaminiert worden waren, an Schilddrüsenkrebs. Vor allem Kinder und Jugendliche waren davon häufig betroffen.
Entscheidend für eine Erkrankung ist die Dosis. Je mehr radioaktives Jod aufgenommen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung der Schilddrüse. Da Kinder und Jugendliche sich in der Entwicklungs- und Wachstumsphase befinden, werden sehr viel mehr Schilddrüsenhormone benötigt als beim Erwachsenen. Je jünger ein Mensch ist, desto sensibler reagiert der Körper auf die Radioaktivität. Daher sind Kinder, auch ungeborene, gefährdeter als Erwachsene.

Auswirkungen von Jod-131 auf Pflanzen und Tiere weitgehend unerforscht

Wie Jod-131 auf Wirbeltiere wirkt, ist bis heute weitgehend unerforscht. Bisher gab es nur Versuche an Mäusen, die zwar Tumore an der Schilddrüse bildeten; diese Karzinome waren aber meist gutartig. Da Mäuse nur zwei bis drei Jahre leben, bleibt die Frage offen, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt bösartige Karzinome gebildet hätten. Es ist anzunehmen, dass die Übertragbarkeit der Ergebnisse dieser Untersuchungen, die am Helmholtz-Zentrum in München durchgeführt wurden, auf den Menschen relativ gering sind.

Für Pflanzen ist Jod-131 nicht besonders schädlich, da sie die Substanz nicht speichern. Allerdings wird Jod über die Wurzeln aus dem Boden aufgenommen und gelangt über das Wassertransportsystem durch den Spross bis in die Blätter. Nahrungspflanzen können also durchaus mit radioaktivem Jod verseucht sein und über die Nahrungsaufnahme gelangt es dann wieder in den menschlichen Körper.

Cäsium-137 strahlt 30 Jahre

Cäsium-137 hat eine längere physikalische als auch biologische Halbwertzeit als Jod-131. Nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz beträgt die physikalische Halbwertszeit etwa 30 Jahre. Caesiumsalze sind sehr gut wasserlöslich und werden nach Aufnahme in den Menschen vorwiegend in den Muskeln abgelagert. Die Ausscheidung des radioaktiven Cäsiums über den Urin dauert im Durchschnitt etwa zwei Jahre. Die biologische Halbwertszeit ist die Zeit, nach der die Hälfte der radioaktiven Substanz aus dem Körper wieder ausgeschieden ist.
Wenn es sich nicht um eine Substanz handelt, die in Knochen eingebaut wird, ist die biologische Halbwertszeit in der Regel viel kürzer als die physikalische. Im Falle von Caesium spricht man von einer biologischen Halbwertszeit von durchschnittlich 110 Tagen. Wenn die Belastung der Umwelt durch Cäsium-137 jedoch länger anhält, kann der Stoff immer wieder über belastete Lebensmittel in den menschlichen Körper gelangen.

Duschen und Fenster schließen hilft bei Kontamination

Einer Kontamination durch Cäsium-137 kann zunächst mit mechanischen Hilfsmitteln entgegengewirkt werden. Da Cäsium-137 im Wesentlichen durch die in der Luft vorhandenen Stoffe, etwa Staubpartikel, gebunden wird, können Maßnahmen wie Duschen, Wechseln der Kleidung oder Verschließen von Fenstern und Türen zunächst helfen. Auch das Abschalten von Klimaanlagen und Ventilatoren stellt eine wirksame erste Hilfsmaßnahme dar, solange das radioaktive Cäsium in der Luft ist. Im Laufe der Zeit findet jedoch eine Kontamination des Bodens durch Cäsium-137 statt, das sich von der Luft auf den Boden niederschlägt. Daher muss das kontaminierte Gebiet bei hohen Belastungen mit Cäsium-137 möglichst rasch verlassen werden, da der radioaktive Stoff sonst unweigerlich über Luft und Nahrung, aber auch durch direkte Einstrahlung auf den menschlichen Körper einwirkt.

Erkrankungen nach Verstrahlung durch Cäsium -137

Eine Folge der Aufnahme von radioaktivem Caesium kann Erkrankung an Leukämie (Blutkrebs) sein. Da die radioaktive Strahlung die DNA im Zellkern schädigt, kann das Erbmaterial bei der Zellteilung nicht mehr gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden. Daher sind alle Systeme, die sich besonders häufig teilen, mehr gefährdet als andere.
Gehirn, Nerven oder Muskeln sind weniger betroffen, da dort im erwachsenen Alter kaum noch Zellteilungen stattfinden. Für Kinder sieht die Sache naturgemäß anders aus. Sie befinden sich im Wachstum, daher findet in allen Körperteilen Zellteilung statt. Die Gefährdung von Kindern ist daher insgesamt höher. Neben den blutbildenden Systemen sind radioaktiv belastete Menschen oft von Lungen,- Magen-, Darm- und Hautkrebs betroffen. Frauen erkranken infolge einer Kontamination mit Cäsium-137 zudem häufiger an Brustkrebs und Eierstockkrebs.
Welche anderen Krankheiten, außer Krebs, durch die radioaktive Belastung hervorgerufen werden können, ist bis heute nur wenig erforscht. Allerdings ist ein Zusammenhang mit radioaktiver Belastung bei Erkrankungen der Augenlinsen, etwa dem Grauen Star, wahrscheinlich. Schon relativ geringe Dosen scheinen eine Zunahme der Bildung von Grauem Star zu bewirken.

Darüber hinaus befasst sich eine EU-Studie mit dem Zusammenhang von Kreislauferkrankungen und radioaktiver Belastung. Hintergrund dieses Forschungsprojektes ist die Erfahrung, dass viele Japaner/innen nach dem Abwurf der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki im zweiten Weltkrieg vermehrt unter Kreislauferkrankungen litten, obwohl die japanische Bevölkerung aufgrund ihrer Ernährung traditionell eher selten an solchen Herz-Kreislauferkrankungen leidet. Ergebnisse dieser Studie liegen noch nicht vor.

Pflanzen, die viel Wasser enthalten, sind stärker betroffen

Generell gilt: Pflanzen und Lebensmittel, die viel Wasser speichern, wie etwa Spinat, Salat, Pilze, Fisch, Algen und Muscheln sind stärker durch die Einlagerung von radioaktivem Cäsium belastet als andere. Landwirtschaftliche Produkte zeigen heute in Deutschland, 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, kaum mehr Spuren von Cäsium-137. Durch das Umpflügen der Ackerböden gelangte das radioaktive Cäsium in bis zum 70 cm tiefe Erdschichten, so dass das Saatgut und die Wurzeln der Pflanzen kaum mehr damit in Berührung kommen. Zusätzlich fixieren Tonminerale in tieferen Erdschichten das gefährliche Cäsium.

Ganz anders hingegen ist die Situation im Ökosystem Wald. Dort ist die Kontamination noch relativ hoch, wie beispielsweise in Bayern und Österreich. Die durch Regen in den Boden eingetragenen radioaktiven Niederschläge können sich hier besonders gut halten. Durch die natürliche Humusbildung im Wald, die reich an Nährstoffen ist, ist Cäsium 137 in der oberen Bodenschicht leicht verfügbar. Das radioaktive Cäsium wird durch Bodenorganismen, Pflanzen und Pilze rasch aufgenommen. Wenn Nadeln und Blätter im Herbst fallen, wird der radioaktive Stoff erneut dem Boden zugeführt. Cäsium bleibt also im Nährstoffkreislauf eingebunden.

Auswirkungen auf Tiere

Wie die Verstrahlung auf Tiere, die im Wald leben, oder andere Wirbeltiere, wie unsere Nutztiere wirkt, ist kaum erforscht. Das Interesse der Wissenschaftler/innen ruhte auch nicht auf den Tieren und ihre Gesundheit. Die Auswirkungen der radioaktiven Bestrahlung auf den Menschen und seine Nahrungsmittelkette standen im Mittelpunkt der Betrachtung. Seitdem die Erhaltung der Umwelt immer mehr in die öffentliche Diskussion rückt, sind auch die Auswirkungen der radioaktiven Verseuchung auf Pflanzen und Tiere vermehrt in den Fokus der Forscher geraten, ohne dabei allein die menschliche Nahrungskette im Blick zu haben.
Eine Ausnahme bilden allerdings Studien, die eine internationale Forschertruppe an Vögeln im Sperrgebiet von Tschernobyl vornahmen. Über die Ergebnisse berichtet das Wissenschaftsmagazin PLoS one. Demnach zeigte sich bei den untersuchten Vögeln ein Zusammenhang zwischen radioaktiver Belastung und dem Herausbilden eines kleineren Gehirns.

Spiegel-online berichtet zudem von slowakischen Forschern, die mit Flachspflanzen in Tschernobyl experimentierten. Sie stellten fest, dass die Flachspflanzen nur bei wenigen Proteinen Veränderungen zeigten. Allerdings regten bestimmte Proteine, die sich verändert hatten, die Bildung von Glycin-Betain an. Dieser Stoff kann Lebewesen vor den Auswirkungen radioaktiver Strahlung schützen.
Mikroorganismen und Insekten zeigen im Unterschied zu Mensch, Tier und Pflanze keine negativen Folgen bei radioaktiver Bestrahlung. Thomas Jung vom Bundesamt für Strahlenschutz führt dies vor allem bei den Mikroorganismen darauf zurück, dass diese unseren Globus bereits zu Urzeiten bevölkerten, als hier noch lebensfeindlichere Bedingungen herrschten. Sie sind daher vermutlich besser in der Lage mit extremen Bedingungen – wie radioaktiver Belastung – zu leben.